Wie entsteht das Lawinenbulletin des SLF? Erfahren Sie mehr zum spannenden Thema im Gespräch mit Kurt Winkler, dem SLF Spezialisten.

Grüezi Petra Muster

Wie wird eigentlich das Lawinenbulletin erstellt? Unser Fernsicht-Redaktor Jürg Haltmeier hat sich im Dezember auf den Weg nach Davos gemacht, zum Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Dort hat er den Lawinenwarner und -forscher Kurt Winkler für ein Gespräch getroffen. Am Nachmittag hatte Jürg die Gelegenheit, live bei der Erstellung des Lawinenbulletins für den Folgetag dabei zu sein.

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Zu Besuch bei den Lawinenwarnern des SLF

Interview mit Kurt Winkler

Kurt, danke dass du dir Zeit nimmst und ich freue mich, dich an deinem Arbeitsort am SLF besuchen zu dürfen. Auf der Zugfahrt durchs Prättigau habe ich mir über die Verantwortung eures Teams der Lawinenwarner Gedanken gemacht. Schläfst du im Sommer besser als im Winter?

Aktuell ja, früher nein. In meinen wilden Kletterjahren schlief ich vor den schwierigen Routen an den Wendenstöcken auch im Sommer nicht besonders gut. Ja, es gibt im Winter Tage, da trage ich in Gedanken meine Arbeit nach Hause. Dies bei besonders heiklen Schneelagen in den Alpen. Da schlafe ich ab und zu nicht besonders gut.


Wie lange arbeitest du mittlerweile beim SLF und was sind deine Zuständigkeiten?

Das sind mittlerweile 16 Jahre. Ich stiess 2006 zum Team der Lawinenwarner. Dieser Job nimmt etwa einen Drittel meiner Arbeitszeit in Anspruch. Im Weiteren bin ich in der Forschung und Produkteentwicklung tätig.


Das hört sich spannend an. Womit beschäftigst du dich aktuell?

Mit dem Lawinenbulletin der Zukunft. Operativ mit der Prognose für morgen, als Produktenwickler mit dem Bulletin der nächsten Jahre. Schon beim Lawinenbulletin in der heutigen Form hatte ich seinerzeit die Projektleitung. Es ist so gesehen ein bisschen mein «Baby». Im Rahmen der sich stetig entwickelnden technischen Möglichkeiten haben wir im Team die Produktenwicklung stark erweitert. Wir arbeiten daran, immer mehr zur Verfügung stehende Daten automatisch zu verarbeiten und mit smarten Visualisierungen der breiten Kundschaft der Schneesportler, Pisten- und Strassendienste und den vielen weiteren Interessengruppen zugänglich zu machen.


Gibt es einen Bereich in deiner Tätigkeit, den du besonders leidenschaftlich verfolgst?

Mit meinem wissenschaftlichen und bergsportlichen Hintergrund fasziniert mich das Gesamtpaket meiner Arbeit. Dazu gehört auch die Arbeit im Team und die Dynamik der Entwicklung der Anwendungen.

Kurt Winkler, Lawinenwarner und -forscher am SLF in Davos

Kurt ist 1966 geboren und hat Bauingenieur studiert. 10 Jahre Forschungsarbeit und Dissertation an der ETH Zürich.

Bergführerausbildung und Tätigkeit von 2001-2006. Autor der bekannten Werke «Bergsport Sommer» und «Bergsport Winter» des SAC. Seit 16 Jahren ist er als Lawinenwarner und in der angewandten Forschung am SLF in Davos tätig.

Kurt ist Allroundbergsteiger mit Vorlieben für Skitouren abseits des Rummels und für alpines Sportklettern.

SLF, WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos im Portrait

Das SLF ist ein interdisziplinäres Forschungs- und Dienstleistungszentrum in Davos. Rund 140 Personen forschen zu den Themen Schnee, Atmosphäre, Naturgefahren, Permafrost und Gebirgsökosysteme und entwickeln innovative Produkte, in denen sie ihr Wissen für die Praxis umsetzen. Im Bereich des Lawinenbulletins sind acht Lawinenwarner tätig.

Das SLF gehört zur Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und damit zum ETH-Bereich. Es erforscht verschiedene Aspekte rund um den Schnee, beispielsweise wie er aufgebaut ist und wie er sich unter verschiedenen Bedingungen verändert.

Das SLF bietet zudem diverse Dienstleistungen an, zum Beispiel das Lawinenbulletin, Beratungen zu Lawinenschutzmassnahmen, Expertisen zu Lawinenunfällen sowie die Entwicklung von Warnsystemen für Naturgefahren.

Auszug aus dem Portrait auf der Webseite des SLF.

Welches waren die wichtigsten Schritte und Entwicklungen, die du persönlich begleiten konntest?

Wie schon erwähnt habe ich die aktuelle Form des Bulletins massgeblich entwickelt. Dazu fallen mir Adjektive wie kartenbasiert, interaktiv und die automatisierte Übersetzung in Englisch, Französisch und Italienisch ein. Dazu verwenden wir einen sehr ausgeklügelten Satzkatalog (Sammlung von Textbausteinen).


Hat sich auf Grund deiner beruflichen Auseinandersetzung mit dem Thema Lawinen dein Verhalten auf Skitour verändert?

Kurt lacht. Ja, ich muss mir ab und zu auch eine grossartige Abfahrt erlauben, diese bewusst geniessen. Mit meinem Hintergrundwissen tendiere ich zusätzlich zu meiner grundsätzlich defensiven Entscheidungsfindung oft zu sehr grosser Vorsicht.


Mit welchen Hilfsmitteln planst du denn deine persönlichen Ski- und Schneetouren?

Dazu verwende ich eine Karte mit Hangneigung und kombiniere dazu mit der Reduktionsmethode das Lawinenbulletin. Ich bin oft auch abseits der markierten Skirouten unterwegs und weiss immer, in welcher Farbe der GRM (grafische Reduktions-Methode) ich mich bewege.
Merkblatt «Achtung Lawinen»

Dazu fällt mir noch eine Frage ein. Wie denkst du zu den datenbasierten Planungsinstrumenten wie den «Skitourenguru»?

Der Skitourenguru berechnet eine Reduktionsmethode, und dies mindestens so gut, wie ich es selbst kann. Er gehört wohl zum Besten, das es gibt, um eine Tour zu planen – und ist gleichzeitig schnell und einfach in der Anwendung. Unterwegs beurteile ich dann die aktuellen Verhältnisse selbständig und korrigiere bei Bedarf meinen ursprünglichen Planungswert. Wenn ich persönlich den Skitourenguru trotz allem nicht so oft verwende, dann liegt es nur daran, dass ich mir gerne exotische Touren ohne Leute und ohne grünen Strich suche.


Kürzlich habe ich mir euer neues Online-Format «Avalounge» angesehen. Gratuliere euch zu diesem, für das SLF neuen Weg der Kommunikation. Übernimmt da eine neue Generation das Zepter bei euch?

Willst du mich frühzeitig in Rente schicken? Lacht. Beim SLF profitieren wir von einem kreativen Mix aus den jungen Wilden und den alten Hasen. Die Generation Z pflegt einen routinierten Umgang mit den gängigen Socialmedia-Kanälen. Das SLF versteht sich mittlerweile viel mehr als Dienstleister für eine breite Bevölkerungsschicht, die wir auf unterschiedlichste Weise zu erreichen versuchen, eben zum Beispiel mittels Avalounge und Avablog.

Kurt, für diesen spannenden Einblick in dein Schaffen am SLF bedanke ich mich sehr. Wir haben, so glaube ich die Zeit aufgebraucht, da nun deine Arbeit für das zu erstellende Lawinenbulletin von morgen ansteht.

Wie wird nun konkret das Lawinenbulletin für den kommenden Tag erstellt?

Ein Nachmittag mit den Lawinenwarnern vom SLF

Bei normalen Schneelagen, wie auch am Tag des Besuches am 07.12.2022, sind drei Personen dafür zuständig. Dies in einer 3x 2 Tage Rotation als Einsteiger, Hauptverantwortlicher und Reserve. Bei sehr grossen Schneefällen wird bis auf sechs Personen aufgestockt, um die ganzen Zusatzaufgaben wie Medienarbeit und den Kontakt zu den lokalen Lawinendiensten bewältigen zu können.


Schritt 1: Persönliche Einschätzung der aktuellen Situation, der Wetteraussichten, der sich abzeichnenden typischen Lawinenprobleme, der Verteilung auf Lage, Höhenstufe und Exposition, sowie den Gefahrenstufen.

Kurt ist heute Einsteiger. Während der Hauptdienst schon längst im Einsatz ist, beginnt er um 13 Uhr, die Schlüsselinformationen für sich zusammen zu stellen. Dazu zählen die Neuschneemenge und der Wind mit dem sich daraus ergebenden «Verfrachtungs-Index», die Schneeoberflächen- und Lufttemperatur, die Sonnenscheindauer, Beobachterrückmeldungen, Webcams, Blogeinträge und Rückmeldungen von Unfällen. Für die Wetterdaten greifen die Prognostiker auf das Wettermodell «Cosmo-1E» und «Cosmo-2E» zu. Der Zeithorizont der Betrachtungen reicht mindestens einen Tag zurück und zwei bis drei Tage nach vorne.

Schritt 2a: Briefing im Operation-Room

Ab 15 Uhr präsentiert der hauptverantwortliche Prognostiker seine persönliche Einschätzung den beiden Kollegen. Anschliessend präsentieren die beiden anderen Lawinenwarner*innen je ihre persönliche Einschätzung der Lawinengefahr und das daraus folgende Bulletin für den folgenden Tag, sowie den Trend für den übernächsten Tag.

Die Diskussion drehte sich konkret um zu erwartende Niederschläge im Westen, die vorhandenen ungünstigen Schneeoberflächen sowie eine sich aufbauende Föhnlage mit der entsprechenden Triebschneeproblematik auf Rauhreifoberflächen.

Schritt 2b: Vergleich der drei unabhängig voneinander erstellen Prognosen mit Einbezug der Resultate von Computermodellen

Für ein möglichst gleichmässiges und korrektes Lawinenbulletin ist es wichtig, dass jeder Lawinenwarner seine Einschätzung unabhängig erstellt. Erst jetzt werden die verschiedenen Einschätzungen verglichen. Die beste Trefferquote erhält man, wenn man vom Mittelwert aller Einschätzungen ausgeht.

Heute stellen die drei Lawinenwarner rasch fest, mit den individuellen Prognosen ziemlich übereinzustimmen. Unterschiedlich wurden spezifische Abgrenzungen von Teilgebieten und Höhenlagen beurteilt. Die fachliche Diskussion zeigt eine unglaubliche Kompetenz und Erfahrung in Sachen Schnee- und Lawinenwissen. Der Konsens ergibt sich, auch den nicht allzu komplexen Vorzeichen geschuldet, schnell.

Schritt 3: Allgemeiner Beschrieb der Schneedecke und der Wetterlage, Gefahrenkarten und Gefahrenbeschriebe und die Publikation online

Nun geht es darum, das Lawinenbulletin konkret zu erstellen. Den allgemeinen Beschrieb der Lawinenlage, der Schneedecke und der Wetterlage hat der Hauptverantwortliche Prognostiker schon verfasst und gibt diesen seinen Kollegen zur Prüfung weiter. Die Gefahrenkarten und -beschriebe werden im «Lawineneditor» direkt erstellt. Die Gefahrenbeschriebe werden aus einem ausgeklügelten Satzkatalog zusammengestellt und vom Programm automatisch in F, I und E übersetzt. Der allgemeine Beschrieb wird von einem Übersetzungsdienst innert 30 Minuten ebenfalls in die drei Fremdsprachen übersetzt. Zum Schluss wird alles von allen nochmals gecheckt und auf 17.00 Uhr online publiziert.

Auf SRF1 erfolgt normalerweise um 16.50 Uhr ein Interview. An diesem Tag wird darauf verzichtet, da es zu früh in der Saison ist und die Schneelage noch nicht wirklich Skitouren erlaubt. Bei heiklen Wetterlagen erfolgen Interviews mit mehreren Radio- und TV-Sendern.

Ein Kränzchen zum Schluss

Wie schon erwähnt, präsentierte sich die Schnee- und Lawinenlage am 07. und 08. Dezember nicht komplex. Kaum vorzustellen, was in den Büros der Lawinenwarner abgeht, wenn hohe Neuschneemengen drohen, die Telefone dauerklingeln und zeitnah, präzise und unter Hochdruck in viele Richtungen kommuniziert werden muss. Da gehört zu grossem Fachwissen und Erfahrung auch ein gut gestricktes Nervenkostüm. Chapeau, liebe Kollegen vom SLF! Schön seid ihr mit Leib und Seele dabei und liefert der Schneesportgemeinde täglich wichtige Informationen und Prognosen. Danke dir, lieber Kurt und euch beiden Thomas und Frank für eure offene Tür und Geduld für meine Fragen.

Hier geht es zum umfangreichen Portal zur Lawinenprävention des WSL, SLF und der Suva:

White Risk - Lawinenprävention

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Praxisnah und verständlich präsentieren wir Ihnen die Materie der Lawinenkunde. In den Lawinenkursen erlernen Sie, mit dem notwendigen Grundwissen und griffigen Entscheidungshilfen die Gefahrensituation im winterlichen Hochgebirge optimal einzuschätzen.

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Von den Autoren Stefan Harvey, Hansueli Ryner und Jürg Schweizer.

Das Explora Highlight im Januar

Ein Esel zum Pferde stehlen: Schauspielerin Lotta Lubkoll, die zuvor noch nie in den Bergen war, wandert mit Esel Jonny über die Alpen. Ihr Vortrag gewann den 1. Preis an den Discovery Days und ist nun ab dem 7. Januar live in der ganzen Schweiz zu sehen.

«Suche Esel, der gern Abenteuer erlebt», schrieb die Schauspielerin Lotta Lubkoll in einer Internetanzeige. Was danach passierte, sollte das grösste Wagnis ihres Lebens werden: Eine Wanderung über die Alpen, nur sie und Esel Jonny. 600 km mit eseligen 3 km/h bis ans Mittelmeer. Dabei checken sie zusammen am Campingplatz ein, gehen in den Supermarkt, klettern über Hochgebirgspässe und werden von einem Radfahrer verfolgt. Bis Jonny plötzlich verschwindet.

«Wir wussten nie, wie weit wir heute kommen würden, wie der Weg verläuft, welchen Herausforderungen wir begegnen oder wo wir schlafen würden. Aber es hat immer geklappt!» Trotz ihrer Angstzustände in der Dunkelheit, meistert sie mit ihrem treuen Langohr den Weg in 80 Tagen von München bis an die Adriaküste. Ein Vortrag voller Lebensfreude und Ehrlichkeit, Rührung und quietschender Eselliebe.
Ab 7. Januar 2023 auf CH-Tournee

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